INTERVIEW MIT THOMAS STRUCK

13.10.2021

INTERVIEW MIT THOMAS STRUCK

In unserem Interview erzählt Thomas Struck u.a. über die lange Reise von Fides Fotokoffer und was für ihn die Fotografien seines Vaters bedeuten. Eine Auswahl der Bilder ist in der Ausstellung „FOTO FLANEUR FIDE STRUCK – BERLIN 1930-1941“ in unserem Lichtraum, Motzstrasse 52, zu sehen.

  

Im Jahr 1941 verpackt Fotograf Fide Struck sein Werk aus ca. 3000 Glas- und Filmnegative in einen Koffer, der knapp 70 Jahre verschlossen bleibt. Als sein jüngster Sohn Thomas den Fotokoffer 2015 öffnet, ist Fide bereits seit 15 verstorben. Thomas beginnt das Werk seines Vaters zu digitalisieren und aufzuarbeiten. Später wird die Sammlung ins Archiv des Preußischen Kulturbesitzes aufgenommen.

 

Hallo Thomas, unsere erste Frage ist normalerweise „Was war deine erste Kamera?“. In diesem Fall würden wir natürlich gern wissen, mit welcher Kamera hat Fide fotografiert?

Leider weiß ich nicht genau, mit welcher Kamera Fide angefangen hat zu fotografieren. Das muss gegen 1926 gewesen sein. Die Grundlagen der Fotografie lernte er in der Lichtbildnerei Curt Warnke in der Künstler- und Handwerkersiedlung Gildenhall bei Neuruppin.

 

 

Erzähl uns bitte in kurzen Worten von der Reise des Fotokoffers deines Vaters, bis dieser bei dir angelangt ist.

Fide Struck und seine Ehefrau Martel packten im Juni 1941 etwa 3000 Negative auf Glas und auf Film in einen Holzkoffer und zogen mit dem Fotokoffer von Berlin nach Hamburg um. Rechtzeitig vor dem Hamburg zerstörenden Feuersturm im Juli 1943 reiste Martel in ihre Heimatstadt Blankenburg im Harz. Im Gepäck war auch der Fotokoffer.

1945 reiste der Koffer mit den Negativen nach Bad Münder am Deister, wo wir in einem sogenannten Behelfsheim lebten. 1950 landete der Koffer dann wieder in Hamburg. 1956 zogen wir nach Stuttgart und 1971 zogen Fide und Martel nach Hamburg in ein Seniorenheim. Fide gab den Koffer seinem Enkel Hartmut Struck in Hamburg, denn ich war damals Hippie und ohne festen Wohnsitz.

Hartmut übergab mir 2010 den Koffer, den ich damals im Keller meiner Wohnung in Berlin Schöneberg lagerte. Ich hatte eine gewisse Scheu  den Koffer zu öffnen, denn ich ahnte, dass er eine größere Aufgabe für mich enthielt.

 

   

 

Was war dein erster Gedanke beim Öffnen von Fides Fotokoffer? Hast du sofort begriffen, dass es sich hierbei um etwas besonderes handelt?

Am 24. Mai 2015 um 12:08 Uhr, das ist durch ein Handyfoto dokumentiert, öffnete ich den Koffer zum ersten Mal. „Wie das stinkt“, stöhnte meine Frau damals. Der Mief des Zweiten Weltkriegs erfüllte das Zimmer. Vor uns Päckchen in Nazi-Zeitungspapier von 1941 eingepackt. „Das Hakenkreuz weht über der Akropolis, Churchill der Weltbrandstifter", etc. Die Päckchen enthielten Stapel von Negativen, von denen nur wenige beschriftet waren.

Zunächst besorgte ich mir einen Scanner und konnte so das Material sichten und ordnen und reiste in die Zeit vor meiner Geburt. Die Bearbeitung der Negative dauerte dann fast zwei Jahre. Als ich damit fertig war, bot ich das Material der bpk, dem Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, an. Frau Tieth, die Leiterin der bpk, war von den Bildern des völlig unbekannten Fide Struck begeistert und übernahm Fides gesamtes Werk in das Archiv. Zur Begründung heißt es im Vertrag: "Das fotografische Werk von Fide Struck ist inhaltlich und fotogeschichtlich so bedeutend, dass eine langfristige Erhaltung dieses Werks angestrebt wird.“ Somit war ich die Sorge los, wohin mit den Bildern.

 

  

 

Fide war bereits seit 30 Jahren verstorben, bevor der Koffer von dir geöffnet wurde. Da waren am Anfang sicherlich viele offene Fragen zu den Fotografien deines Vaters. Wie hast du mit der "Detektivarbeit" begonnen, um Antworten zu finden?

Im Koffer befanden sich handschriftliche Notizen aus der Zeit der Jugendbewegung und Arbeitszeugnisse. Zusätzlich sammelte ich Briefe, die meine Verwandten aufbewahrt hatten. Mit diesen Hilfsmitteln fing ich an, Fides Leben zu rekonstruieren. Leider sind die meisten Schriftstücke in Sütterlin-Schrift, die ich nur mühsam entziffern kann.

 

 

Was macht für dich Fides Bilder aus, worin siehst du für dich ihre Besonderheit?

Fide war nur 1,61 m groß, aber sehr flink und nahm gern zwei Stufen auf einmal. Diese Quirligkeit spüre ich bei seinen Bildern, denn er wird nicht müde, verschiedene Perspektiven zu suchen. Ich staune auch über seine Sicherheit. Von vielen Motiven gibt es nur eine Aufnahme, und die stimmt.

In Fides Fotos verbindet sich der Blick des Profis mit dem des Amateurs. Fide geht nicht in erster Linie unter dem Aspekt der Verwertbarkeit an ein Motiv heran. Er möchte das fotografieren, was er gern erinnert. Deshalb fehlen in dem Koffer auch Bilder mit Naziaufmärschen und deren Embleme.

 

  

 

Gibt es für dich sogenannte Lieblingsbilder oder eine Serie, die dir besonders wichtig oder nahe ist?

Ich mag Fides Bilder besonders gern mit Bewegungsunschärfe, die Tempo sichtbar macht, wie in der Börse oder auf dem Fischmarkt. Auf der anderen Seite nutzt er Unschärfen auch als Zeichen der Ruhe, wie bei einem Liebespaar, das er vor einen Hollunderbusch stellt, dessen weiße Blütendolden unscharf im Wind wirbeln.

 

  

 

Gibt es Projekte für die nahe Zukunft, bzw. was würdest du dir für Fides Werk wünschen?

Ich arbeite an einem Text für ein Buch mit den Fotos. Fides Fotos, sein komplexes Liebesleben und die konfliktreiche Zeit vor dem zweiten Weltkrieg könnten aber auch wunderbar Stoff für einen Film liefern.

Ich selbst suche nach der Antwort auf die Kernfrage, warum hat Fide nach dem Krieg aufgehört zu fotografieren?

 

 

Wir freuen uns, Thomas Struck am 15. & 21. Oktober 2021 als Gast zu haben. Um 17 Uhr berichtet er in einem Lichtbildervortrag über die ausgestellten Bilder und das bewegte Leben seines Vaters.