INTERVIEW MIT DEBORA RUPPERT

08.02.2024

INTERVIEW MIT DEBORA RUPPERT

Die Fotografin Vanessa Wunsch hat sich auf Portrait- und Peoplefotografie spezialisiert. In unserem Interview erhaltet ihr Einblicke in ihre Arbeitsweise und erfahrt wertvolle Tipps für die Portraitfotografie, die auch für euch nützlich sein können.


Hallo Debora, wie bist du zur Fotografie gekommen und was war deine erste Kamera?


Ich bin durch verschlungene Pfade zur Fotografie gekommen. 2005 habe ich beruflich und privat eine Krise durchlebt. Damals habe ich mir eine ganz kleine Digicam gekauft. Ich lebte zu der Zeit in Frankfurt am Main und habe angefangen dort durch die Straßen zu ziehen und zu fotografieren.

Die Kommunikation mit der Stadt durch das Auge der Kamera habe ich, als sehr heilsam empfunden - irgendwie habe ich da wieder zu mir selbst gefunden. Aber ich hätte damals nie gedacht, dass ich später mal beruflich als Fotografin arbeiten würde.

Foto: Larissa Seufert

Du fotografierst Menschen ohne Obdach auf der Straße und gibst somit einen Einblick in ihr Leben. Was hat dich dazu inspiriert?


Eine überraschende Entwicklung hat mich dahin geführt.

Ich hatte 2009 eine Ausstellung in Berlin, Wedding. Das Konzept stand schon, aber dann war ich vor Ort unterwegs und spürte, dass es mir wichtig war, dass die Ausstellung auch etwas von der DNA des Kiezes widerspiegelt. Am Leopoldplatz sah ich viele Menschen, die auf der Straße lebten und es war mir wichtig auch „broken dreams“, die eben auch im Wedding sichtbar sind, in der Ausstellung zu zeigen.

Also sprach ich mit Jovan Balov, dem Kurator, circa zwei Wochen vor der Vernissage, ob es möglich wäre, einen der drei Ausstellungsräume umzuwidmen und dort Fotografien zum Thema „broken dreams“ zu zeigen. Er war tiefenentspannt und ließ mich machen und so war ich dann zum allerersten Mal auf den Straßen Berlins unterwegs und habe Menschen ohne Obdach angesprochen, ihnen von der Ausstellung erzählt und gefragt, ob sie Interesse haben mitzumachen, um so auf das Thema Obdachlosigkeit aufmerksam zu machen.

Damals hätte ich nie gedacht, dass daraus ein Projekt entstehen würde, das sich über ein Jahrzehnt erstreckt. Aber die Straße hat mich nicht mehr losgelassen, so dass ich im Laufe der Jahre immer wieder die Begegnung mit Menschen dort gesucht und sie porträtiert habe.

Fotos: Debora Ruppert (li.), Larissa Seufert (re.)

Wie gehst du vor, um das Vertrauen der Personen auf der Straße zu gewinnen, bevor du sie fotografierst? Worauf kommt es hierbei besonders an?


Wenn ich Menschen auf der Straße sehe, dann suche ich erst mal das Gespräch, frage, ob ich mich zu ihnen setzen darf. Nach einer Weile erzähle ich dann von dem Projekt.

Ich habe immer eine Fotomappe mit Porträts von anderen Menschen, die auf der Straße leben, die ich bereits fotografiert habe, dabei. Die Szene ist gut vernetzt und oftmals erkennen sie Bekannte auf den Bildern wieder. Das baut Vertrauen auf.

Ich erzähle ihnen dann von der >KEIN RAUM – Begegnung mit Menschen ohne Obdach< Serie und frage, ob sie mitmachen wollen. Einige haben Interesse und dann porträtiere ich sie direkt vor Ort im Gespräch und bringe ihnen danach, wenn ich sie wiederfinde, das entwickelte Porträt als Geschenk vorbei. Ich finde es total wichtig, dass man respektvoll und wertschätzend mit allen Menschen umgeht.

Foto: Larissa Seufert

Welche Kamera und Objektive wählst du, um in den verschiedenen Lichtverhältnissen und Umgebungen effektvolle Bilder zu erzeugen?


Ich habe lange mit der Nikon Z6 fotografiert - spiegellos finde ich super! Als Objektiv habe ich primär das Nikkor 24-120mm F4 G ED VR  , aber auch das Nikkor Z 35mm F1.8 S  verwendet , da es lichtstärker ist. So konnte ich auf unterschiedliche Situationen auf der Straße flexibel reagieren, sowohl mit dem Zoom, als auch mit der Lichtstärke.

2023 bin ich zur Sony Alpha 1  gewechselt und bin super happy. Hier arbeite ich sowohl mit dem Sony FE 24–70mm F2.8 GM II  , als auch ganz neu mit dem Sony FE 85mm F1.4 GM  .

Fotos: Larissa Seufert (li.), Debora Ruppert (re.)

Hat sich deine Herangehensweise beim Fotografieren von Obdachlosigkeit im Laufe der Zeit verändert? Falls ja, inwiefern hat sich dies auf deine Kameratechnik und deine Bildsprache ausgewirkt?


Ich würde sagen, die Grundidee ist gleich geblieben, es geht mir eher um die zwischenmenschliche Begegnung, als um das fertige Bild. Aber ich fotografiere inzwischen etwas weitwinkliger, so dass man mehr von der Umgebung des Menschen sieht und es nicht mehr ausschließlich Headshots sind.

2023 habe ich zum ersten Mal zum Thema Obdachlosigkeit in Farbe fotografiert. Das war ein großer Schritt für mich, da die KEIN RAUM Serie ausschließlich in schwarz/weiß gehalten ist. Aber ich habe 2023 inhaltlich einen neuen Schwerpunkt gesetzt, in dem ich unter dem Titel: >HOME STREET HOME- Wege aus der Obdachlosigkeit< deutschlandweit Menschen porträtiert habe, die nach einer Zeit, z.T. bis zu 22 Jahren, Obdachlosigkeit wieder ein neues Zuhause in Form einer Wohnung gefunden haben. Hierfür habe ich sie in ihren Wohnungen besucht. Da die Lichtverhältnisse vor Ort schwankend und herausfordernd waren habe ich z.T. mit Blitzlicht gearbeitet. Diesen Perspektivwechsel: von der Straße in eine Wohnung und die Hoffnungsgeschichten, die damit verbunden sind wollte ich auch visuell durch eine andere Bildsprache kennzeichnen und so habe ich mich entschieden in Farbe zu fotografieren.

Meine stärkste Lernkurve in den letzten Jahren lag jedoch eindeutig im zwischenmenschlichen Bereich, z.B. im Umgang mit Grenzüberschreitungen und wie ich damit umgehen kann, wenn es mal zu brenzligen Situationen auf der Straße kommt.

Foto: Debora Ruppert

Kannst du einen Moment deiner Zusammenarbeit mit Menschen, die auf der Straße leben, mit unseren LeserInnen teilen, der für dich eine besonders berührende oder inspirierende Erfahrung war?


Oh, da gibt es echt viele berührende und kostbare Begegnungen, die bis heute einen besonderen Platz in meinem Herzen haben.

Eine kann ich dir gerne erzählen. Sie handelt von Udo, einem ehemaligen Eventmanager, der in einer Zeltstadt am Ludwig-Erhard-Ufer direkt beim Reichstag in Berlin lebte. Er war dort unter dem Namen „Brückenkanzler“ bekannt, da er immer an der Brücke saß, die zum Bundeskanzleramt führte. Wir lernten uns kennen, als mich die 3sat Kulturzeit einen Tag lang auf der Straße begleitete. Ein alter Freund von ihm, der nicht wusste, dass Udo obdachlos war, sah diesen Fernsehbeitrag. Er reiste daraufhin nach Berlin und suchte Udo, anhand der Filmaufnahmen mit seinem Tablet in der Hand, fand ihn und besorgte ihm einen Job und eine Unterkunft in einem Hostel.

Es war ganz wunderbar zu sehen, was aus dieser Begegnung erwachsen ist und wie es wirklich eine positive Veränderung in Udos Leben bewirkt hat. Udo ist dann später aus verschiedenen Gründen noch mal zurück auf die Straße gegangen, aber nach meinem letzten Kenntnisstand lebt er inzwischen mit seiner Freundin in einer Wohnung in Hamburg.

Foto: Larissa Seufert

Inwiefern möchtest du mit deinen Fotos das Bewusstsein für Obdachlosigkeit in der Gesellschaft beeinflussen? Welche Veränderungen möchtest du bewirken?


Ich denke, es gibt vier „Personengruppen“, die, die Situation von obdach- und wohnungslosen Menschen beeinflussen können.

  • Erstens die PolitikerInnen: sie können Gelder, z.B. für Wohnungsbau bewilligen oder Gesetzesänderung anstoßen.
  • Zweitens die Medienschaffenden: sie prägen das Bild, wie Menschen, die auf der Straße leben, von der Gesellschaft wahrgenommen werden.
  • Drittens die SozialarbeiterInnen, die intensiv mit den Menschen arbeiten und viertens du und ich als BerlinerInnen, die jeden Tag, wenn wir in der Stadt unterwegs sind, mit Obdachlosigkeit konfrontiert sind.


Mir ist es wichtig mit Vorurteilen aufzuräumen wie „In Deutschland muss niemand auf der Straße leben.“ oder „Du bist selber schuld.“ In dem Menschen durch Porträts und Zitate Einblick in ihre persönliche Lebenswelt geben, wird deutlich wie vielschichtig und komplex, die Lebenswege sind, die Menschen auf die Straße führen.

Die Ausstellungseröffnungen von >KEIN RAUM< beginnen immer mit einem Podiumsgespräch. Hierzu lade ich jeweils PolitikerInnen aus dem Kiez, SozialarbeiterInnen, einen Menschen, der oder die früher auf der Straße gelebt hat und die Medien ein, da ich hoffe, dass durch die Begegnungen und Gespräche Impulse zur Veränderung gesetzt werden. Es gibt diese großen Veränderungen, z.B. Gesetze, die die Politik beschließen kann, aber dann gibt es auch die kleinen Dinge, die jeder/ jede von uns tun kann, z.B. wenn man jemanden im eigenen Kiez vor dem Supermarkt sitzen sieht und sich dann entscheidet zu grüßen, sich zu unterhalten, eventuell etwas Geld zu geben.

Bei mir im Kiez gibt es einen Supermarkt, bei dem etliche Menschen von der Straße Hausverbot haben, weil sie etwas geklaut haben, da frage ich manchmal, ob ich ihnen etwas aus dem Supermarkt mitbringen kann. Viele Menschen auf der Straße sagen, dass Schlimmste für sie ist, dass sie ignoriert werden, dass sie wie unsichtbar sind und da kann man ansetzen und sie wahrnehmen und mit ihnen sprechen. Alternativ kann man Klamotten, Schlafsäcke oder für den Kältebus spenden, z.B. an die Berliner Stadtmission oder wenn man mehr Zeit investieren will kann man im Ehrenamt mitarbeiten, z.B. bei der Kältehilfe.

Foto: Debora Ruppert

Vielen Dank, zum Abschluss... hast du einen Tipp zur Streetphotography, den du unseren LeserInnen verraten magst?


Wenn man Menschen ohne Obdach auf der Straße fotografiert, finde ich es unerlässlich, vorab mit ihnen zu sprechen. Udo, der Brückenkanzler, hatte mir erzählt, dass er mal unbemerkt mit einem Teleobjektiv aus der Ferne am Hauptbahnhofs fotografiert wurde und dann kam er als Titelbild auf eine Tageszeitung und hat sich unglaublich darüber geärgert, weil er nicht vorab gefragt worden war. Er hat sich dadurch in seiner Situation bloßgestellt gefühlt. Das ist ein No-Go!

Deshalb, wenn man Menschen auf der Straße in solch einer verletzlichen Lebenssituation portraitieren will, finde ich es entscheidend aus Achtung und Respekt vor der Person vorab mit ihnen zu sprechen und zu fragen, ob sie das möchten.