INTERVIEW MIT CHRISTIAN SCHNEIDER

20.07.2023

INTERVIEW MIT CHRISTIAN SCHNEIDER

Heute sprechen wir mit dem Fotografen Christian Schneider. Christian hat sich auf die Kombination von Tanz und Stadtbild spezialisiert. Seine Arbeit zeigt die Schönheit der menschlichen Bewegung inmitten der urbanen Landschaft Berlins. Freut euch auf ein spannendes Interview, mit wertvollen Tipps und Einblicke in die Welt der Tanzfotografie.

 

Hallo Christian, was war deine erste Kamera und wie bist du zur Fotografie gekommen?

Grüße an die Foto Meyer Community! Meine erste Kamera war irgendeine Knipse von AGFA in Pauschalurlauben mit der Familie. Gut, streng genommen, war das die Kamera meiner Eltern. Aber es war natürlich mein künstlerisches Auge für wahllose Motive und Erwachsene, die eigentlich in Ruhe dem Urlaub nachgehen wollten.

Meine erste richtige eigene Kamera war dann die Canon 550D und seither bin ich Canon treu geblieben – an dieser Stelle nehme ich Angebote als Ambassador gerne entgegen.

Der Zugang zu Fotografie und Film kam über versch. Medienprojekte im Schulkontext. Also, wer in der Schule nichts lernt, der besucht vermutlich nur den normalen Unterricht. Davon ab kann man da aber viel mitnehmen.

 

Foto: Christian Schneider

 

Was inspiriert dich bei der Fotografie? Hast du fotografische Vorbilder?

Das ändert sich spannenderweise im Prozess der eigenen Professionalisierung. Früher war eine Kamera zu besitzen, Inspiration genug. Der zunehmende Erfahrungswert treibt die Erwartungen leider immer mehr nach oben und inzwischen inspiriert einem immer mehr der noch besser umgesetzte Perfektionsdrang anderer KünstlerInnen.

Durch die Feeds von Social Media scrollt man sich ja im Minutentakt durch weltweite Talente, die irgendetwas besser können als man selbst und jede Idee war schon mal da, wenn man nur lang genug such

Was mir aber immer Drive gibt: das Zusammenspiel zwischen einem selbst und der Person vor der Kamera. Das ist immer neu, immer eigen, immer unberechenbar. Ich kenne oft eher die Bilder als die Namen der FotografInnen. Wenn ihr meinen vergesst, ist das also nur legitim.

Da zu selten Frauen genannt werden: Lina Tesch (@linatesch) hat tolle cineastische und herausragende Portraits und Julia Steinigeweg (@juliasteinigeweg), die tolle griffige dokumentarische Portraits in Serie raushaut. Wer für mich ansonsten international den Ton angibt und überall kopiert wird, ist Oliver Takác.

 

Fotos: Christian Schneider

 

Wie war dein Werdegang zum Fotografen und was war eine deiner größten Herausforderungen, von der du heute am meisten profitierst?

Ich bin parallel zum Filmemachen tiefer in die Fotografie gerutscht, weil sie mir eine ähnliche Arbeitsweise ermöglichte. Das allerdings mit weniger großem Team und manchmal auch nur mit dem Funken einer Idee, die offenlässt, in welche dramaturgische Richtung es sich weiterentwickelt.

Meine Herausforderung dabei ist immer wieder selbst zufrieden zu sein, damit nicht an der 8x6m Wand am Potsdamer Platz zu hängen, sondern eben nur ein paar Minuten im Feed zu erscheinen oder für 1 Person einen schönen Tag festzuhalten.

Aber diese innere Aushandlung führt in Regelmäßigkeit zu freien Projekten, wie meiner Serie in den Berliner U-Bahnhöfen. Mit dieser Serie möchte ich diverse Facetten unterschiedlichster BewohnerInnen in Berlin widerspiegeln.

Ein weiteres fortlaufendes Projekt führe ich mit verschiedenen SportlerInnen, wie z.B. meine zahlreichen Tanzfotos oder aktuell der ehrenamtliche Support eines Regionalligafrauenteams in Hohen Neuendorf. In den meinen freien Projekten lauert für mich immer viel Leidenschaft, die dann eben querfinanziert werden müssen durch Jobs, die mehr Dienstleistungscharakter haben. Mehr Robin Hood kann ich leider nicht bieten.

 

Foto: Christian Schneider

 

Das Thema Tanzen nimmt eine große Rolle in deiner Fotografie ein. Insbesondere die Kombination von Tanz im öffentlichen Stadtbild. Was fasziniert dich an diesem Genre und wie findest du deine Inspiration?

Ich habe damals die Werke von Omar Z. Robles aus New York gesehen und dachte mir „Ey, das kannste doch auch in Berlin machen.“ Und dann habe ich das in Berlin gemacht.

Es braucht ein wenig Unsicherheit und Risiko. Das ist auch der Grund, weshalb ich Studiofotografie nicht bediene. Bei Tanz sind die Momente kurz, die man einfangen muss. Da steigt mein Adrenalin und die Anspannung und das bringt Energie ins Projekt.

Außerdem ist Tanz, wie jede Sportart, voller Leidenschaft. Die Ausübenden benötigen keine Regieanweisung, um passioniert kraftvoll zu strahlen. Alles ist sehr im Fluss. Und das alles eben auf der Straße und in den einzelnen Kiezen. Die Welt ist die Bühne und ab und an beschert man Passanten noch eine nette Anekdote für den nächsten Business-Lunch.

 

Foto: Christian Schneider

 

Worauf achtest du besonders bei der Zusammenarbeit mit den TänzerInnen? Gibst du ihnen direkte Anweisungen oder ist das Ergebnis deiner Bilder ein Zusammenspiel zwischen TänzerInnen und dir als Fotografen?

Beides, und stark abhängig von der Tanzart, Umgebung, Person und dem Outfit. Die Top-AthletInnen sollen ihre Außerordentlichkeit inszeniert wissen.

Um die Leistung optisch zu verdeutlichen, lässt man die AthletInnen ihre beeindruckenden Sprünge an Stellen machen, die sie noch höher erscheinen lassen.

Bei anderen geht’s um die Leidenschaft und den Zugang zur eigenen Tanzpersönlichkeit. Da ist es eher eine gemeinsame Performance und der Schlüssel ist eher im Zugang zur Person. In solchen Fällen heißt es Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich TänzerInnen der Situation voll hingeben können.

Aber machen wir uns nichts vor, manchmal hat man auch einfach nur eine halbe Stunde vor dem Auftritt und scannt auf dem Hinweg zur Location die besten Linien der Architektur in der Umgebung ab.

Gerne würde ich behaupten, dass jedes Bild ein durchdachtes Kunstwerk ist, aber die Realität ist doch oft unromantischer. Ich habe ja immer noch die stille Hoffnung, auf eine Community-basierte App zu stoßen, bei der sich Fotografie begeisterte, gegenseitig gute Orte vertaggen können. Am besten nach vorhandenen Farben, Strukturen und Lichtbedingungen, leider bin ich kein App-Developer.

 

Foto: Christian Schneider

 

Welche Kamera und welches Objektiv benutzt du für die Umsetzung deiner Ziele und welchen Einfluss hat die Technik auf deine Bilder?

Mein aktueller Begleiter ist die Canon 5D Mark IV mit Festbrennweiten. Das Canon 24/1.4 ist dabei die wichtigste Linse für Ganzkörperposen. Aber auch mit näheren Brennweiten geht’s öfter mal, wenn der Hintergrund sich nicht so fügt oder der Fokus komplett auf dem Subjekt des Fotos liegen soll.

Das Sigma 35/1.4 ART ist ebenfalls oft draufgeschraubt. Die besten AthletInnen verlangen natürlich idealerweise Profiequipment, um auf gleichem Niveau ihre Kunst auszuüben.

Vermutlich würden Systemkameras mit einem Vielfachen an Auslösungen pro Sekunde die schnellen Bewegungen leichter einfangen, aber ich mach’ lieber bei einem Sprung nur ein Foto am Gipfelpunkt der Bewegung. Fotografieren ist ja auch eine Sportart.

Ahnlich der Filmschaffenden, nach dem DOGMA-Prinzip, verfolge auch ich das Bestreben, die Schönheit der Bilder nicht zuvorderst von technischen Hilfsmitteln bestimmen zu lassen. Natürliches Licht, das auf spannende Persönlichkeiten fällt, an charakterstarken Orten und ein kleines bisschen Leben im Bild – wer dafür Sinn und Auge hat, kann das mit jeder Kamera.

Nur RAW-Bearbeitung möchte ich nicht mehr missen, sonst müsste ich doch öfter mit großem Team und viel weißen und schwarzen Stoffwänden durch Berlin tingeln.

 

Foto: Christian Schneider

 

Du schaust dir deine Bilder nach einem Shooting an. Was haben die Bilder, die dir besonders gut Gefallen an sich?

Das Bild löst einen Kurzfilm im Kopf aus. Der geneigte Rezipient sollte in der Lage sein, sich in dem Gefühl wähnen zu können, zu wissen, wie die Sekunden vor und nach dem Bild aussahen.

Es soll die Sehnsucht empfunden werden, gerne bei dem Moment dabei gewesen zu sein. Es sollte auf keinen Fall werblich wirken, auch wenn es das mal ist.

 

Foto: Christian Schneider

 

Als Letztes wüssten wir gerne, ob du noch einen Tipp hast, für alle, die gerade mit der Fotografie im Bereich Tanz anfangen und gerne mit TänzerInnen arbeiten würden?

Es hilft, selbst Tanzerfahrung mitzubringen – fürs Timing. Ich selbst tanze Hip-Hop seit über 10 Jahren und habe früher viele Veranstaltungen dokumentiert. Zu erkennen, wann die Musik und Bewegung explodiert oder sich ändert, ist wahnsinnig hilfreich.

Davon ab freuen sich viele TänzerInnen über Fotos, da im Ensemble in der Regel die Einzelperson nicht wahrgenommen wird, sondern nur die Einheit der Choreografie.

Lebt damit, dass ihr euch selbst permanent auf dem Boden mit Knien und Körper befindet. Es gibt kaum eine Tanzrichtung, die nicht besser aussieht, wenn sie von einer tiefen Perspektive aus fotografiert wird.

Ansonsten können mich Interessierte jederzeit für einen Workshop kontaktieren. Vielleicht gibt’s ja auch mal einen bei Foto Meyer, wenn die Nachfrage stimmt.